Die Liebe

Wie jeden Tag bin ich auf meiner Veranda. Ich halte mich viel im Freien auf, auch wenn das Wetter schlecht ist. Hier spüre ich das Leben.

In meinem Haus kenne ich mich ziemlich gut aus und ich bin einfach ein neugieriger Mensch, so zieht es mich nach draußen.

Ich sehe gerade weichen, breiten Wolken zu, die eilig über den Himmel ziehen. Die Abendsonne flutet satte Abendröte durch diese Idee des Volumens.
Der Wind schubst mich ein bißchen und ich spüre, wie voll ich im Leben stehe.
Wenn es zu kalt wird, hole ich meine dicke, warme Jacke aus dem Haus, denke ich.

Es klopft!

Nanu? Es klopft von innen an meiner Türe? Ich stehe draußen und horche überrascht.
„Ja?“ sage ich. „Wer ist da? Wer ist in meinem Haus?“


Eine klare ruhige Stimme antwortet mir zart:
„Ich bin Deine Liebe und ich wohne hier, genauso wie Du, hast Du das vergessen?“

Da mir kalt ist und ich innerlich ein bißchen friere muß ich ganz schön die Ohren spitzen, um sie zu verstehen.
„So, so!“ sage ich, „ich weiß sehr wohl, daß die Liebe mit in meinem Haus wohnt, aber wenn ich es mir recht überlege, habe ich Dich ein bißchen vergessen, ich dachte Du gehst Deine Wege und ich gehe meine Wege.“                        
„Wie kommt es, daß Du an meine Türe klopfst und Du mit mir redest? Willst Du etwas von mir?“


„Nein, nein“ ruft sie fast erschrocken, „ ich will nichts von Dir und ich will Dich auch gar nicht stören. Ich habe nur das Bedürfnis zu wissen wie es Dir geht.“


„Och, was soll ich sagen, ich stehe auf meiner Veranda und es macht mir Spaß dem Leben zu zusehen. Und ich würde gerne sehen, wie Du jetzt aussiehst, da ich Dich so lange nicht gesehen habe.“


Da öffnet sich meine Türe, aber so sehr ich auch gucke, ich sehe sie nicht.


„Wo bist Du denn?“


„Ich stehe direkt vor Dir,“ höre ich die Liebe sprechen.


Merkwürdig, denke ich, ich kann sie hören, aber ich sehe sie nicht. Und plötzlich wird mir klar, warum ich sie vergessen habe. Sie war einfach nirgends im Haus zu sehen, ich wußte nur immer, daß sie da ist.


„Was sollen wir denn jetzt machen?“ frage ich sie.
„Was hast Du denn gemacht?“ fragt mich die Liebe.
„Ich habe die Wolken betrachtet“, und gucke mit den Worten wieder in den Himmel.


Auf einmal merke ich, daß ich nun mit Liebe den Wolken zusehe.
„Mit Dir zusammen ist es noch schöner, Liebe! Wie konnte ich Dich nur vergessen. Ich bin Dir unendlich dankbar, daß Du Dich gemeldet hast.“


Da lacht meine Liebe wie die reinste Lebensfreude und sagt ganz, ganz leise: „Und wenn Du nicht so aufmerksam gelauscht hättest, hättest Du mich gar nicht hören können. Ich freue mich sehr, daß Du immer noch ein Herz für mich hast.“

Annette Scharfenort