Der Herbstwind schaut in jede Ecke

Der Herbstwind schaut in jede Ecke, in jeden Hof, in jeden Winkel, fordert die noch verschlafenen Blätter energievoll auf zum Tanz. „Darf ich bitten, mein schönes Birkenblatt? Hat Dir schon jemand gesagt wie wunderschön Du bist, mein Weinblatt? Kommt doch! Kommt! Du letztes Blütenblatt der stolzen Vorgartenrose! Seht doch! Hier!“

Erst zögern die Blätter einen Augenblick, denn sie sind berauscht von der Liebeswolke, die aus dem Lob erblüht. Da, nun wippen sie emphatisch den ersten wehenden Takt, der sie umarmt und federleicht umschließt. Dann hat es endlich ihr Herz erreicht, sie richten sich plötzlich in ganzer Größe auf, werfen sich sogar stolz in die Brust. Sie werden zu einem Reigen, der wie ein Derwischekreisel rundherum wirbelt und tanzt, wirbelt und tanzt.

Allerdings sind es auch Lumpensäcke, denn die größten Feste und Tänze finden im Verborgenen statt, in den Ecken und Nischen, die kaum ein anderer entdeckt und begeht. Hier wird gelacht und gefeiert, hier findet das nieendenwollende Herbstfest aller Unzähmbaren statt, die allesamt das Sommerkleid abgestreift und die neueste, bunte Herbstmode tragen. Unerreicht die leise Wucht, unerreicht die raschelnde Leichtigkeit, unnachahmlich jeder Augenblick von Form und Farbe. Die Raumfülle des Windes an und in den Ecken, die Menge der tanzenden Ereignisse, macht staunend und fast ratlos.

„Ihr macht das einfach so!? Ihr macht das einfach nur so!“

„Ja!“ Rufen sie.

Und ich höre jetzt noch, Stunden später, ihr Lachen.

Annette Scharfenort